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„We really care about … accessibility.”: Warum Barrierefreiheit ein Grundpfeiler der Digitalisierung ist

Mario

Erstellt am 05. März 2021

Foto Mario Batusic

Persönliches – Vorhang auf für Mario


Mein Name ist Mario, und ich bin blind. Normalerweise stelle ich mich nicht so vor. Für den Zweck dieses Artikels jedoch ist es passend. Es wird dir helfen, mich und die Begeisterung, die ich bei meiner Arbeit als Accessibility-Engineer habe, besser zu verstehen.

In meiner Jugend waren die Studien- und Arbeitsmöglichkeiten für uns Blinde sehr eingeschränkt:

  • Schriftliche Unterlagen gab es ausschließlich in Papierform, sodass man bei jedem Buch und jedem Brief von einem sehenden Leser abhing.
  • Das Angebot frei zugänglicher Literatur in Blindenschrift oder als Audiobücher war sehr klein.

Durch diese Unselbständigkeit standen uns nur sehr wenige Berufschancen offen. Blinde arbeiteten als Korbflechter, Masseure und Telefonisten.

Die Digitalisierung als Wegbereiter für Chancengleichheit


Meine Freude mit meinem ersten Computer im Jahr 1990 ist kaum in Worte zu fassen. Bald darauf die ersten schriftlichen, selbstständigen Kontakte über E-Mail, erste elektronische Bücher und Artikel, die ich über das World Wide Web (WWW) finden und selbständig mit meiner Braillezeile lesen konnte.

Die vergangenen dreißig Jahre digitaler Revolution brachten für uns körperlich eingeschränkte Menschen immense Fortschritte:

  • Motorisch Behinderte kontrollieren weitgehend selbständig ihre Umgebung durch Smart Home Anwendungen.
  • Sehbehinderte nutzen die Möglichkeit, die Schriftgröße und den Kontrast auf ihrem PC, Smartphone und Tablet eigenen Bedürfnissen anzupassen.
  • Blinde Menschen haben Zugang zu Presse, Literatur, Kommunikation und Navigation auf modernen mobilen und Desktop Geräten dank sogenannter Screenreader Software.

So tat sich auch für uns Blinde eine neue Arbeitswelt auf. Heute arbeiten wir als Büroangestellte, Juristen, Informatiker, ...

In den letzten Jahren erfolgte eine fast komplette Verschiebung von Software am Desktop hin zu Web Anwendungen. Da es im Unterschied zur Desktop Software Entwicklung keine voll barrierefreien Bibliotheken für den Webbereich gibt, erhöht sich unser Entwicklungsaufwand beträchtlich. Nicht nur alle Informationen von Interesse sind jetzt online, sondern auch die Software. Die neue magische Formel lautet „Cloud-Computing“. Die Endgeräte brauchen keine riesigen Speicher und schnellen Prozessoren mehr, verfügen aber dennoch über eine unglaubliche Vielfalt an Anwendungen, die irgendwo auf der Welt remote laufen.

Was genau bedeutet der Begriff „Barrierefreiheit“ oder „Accessibility“


Du fragst dich, was das alles mit der Barrierefreiheit zu tun hat, die ich in der Überschrift dieses Artikels erwähne?

Eine Anwendung oder ein Inhalt ist dann barrierefrei, wenn Menschen mit Beeinträchtigungen selbstständig und ohne Einschränkungen in der Lage sind, damit umzugehen. Dazu müssen sowohl der Browser oder Mediaplayer als auch der darin angezeigte Inhalt bzw. die Anwendung den internationalen Richtlinien für Barrierefreiheit – Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) entsprechen. Ich fasse hier die wichtigsten Anforderungen zusammen:

Geräteunabhängigkeit

Es gibt unterschiedliche Methoden durch den Inhalt zu navigieren und die Benutzeroberfläche zu bedienen. Dazu gehören Maus, Tastatur, Bildschirmtastatur und Spracheingabe. Es gibt Behindertengruppen, die z. B. die Maus nicht verwenden können wie blinde Benutzer und manche motorisch beeinträchtigte User, die den Computer ausschließlich mit ihrer Stimme steuern.

Die Richtlinien verlangen, dass die Bedienung auch mit der Tastatur vollständig möglich ist.

Alternativen für sinnesabhängige Inhalte

Blinde User können beispielsweise Bilder, Logos und grafische Links sowie Buttons nicht sehen. Gehörlose hören die Audioinhalte im Film nicht. Für Inhalte, die ausschließlich akustisch oder visuell sind, muss es daher weitere Optionen geben. Die allgemein wahrnehmbare Alternative ist Text. Es gibt jedoch auch sinnesgebundene Möglichkeiten, die in manchen Situationen besser geeignet sind. So kann ein Vortrag um eine Übersetzung in eine geeignete Gebärdensprache ergänzt oder für Blinde eine Audiodeskription als Zusatzkanal zu einem Film angeboten werden, in der Sprecher*innen ausschließlich visuelle Szenen in Sprachpausen erklären.

Meine Aufgaben als Accessibility-Engineer


Wir stellen den zentralen Anspruch, bei unseren Softwareprodukten vollständige Barrierefreiheit und dadurch Chancengleichheit für Menschen mit Beeinträchtigung zu gewährleisten.

Seit Jänner 2012 betreue ich bei der Fabasoft folgende Arbeitsbereiche:

  1. Mitgestalten der Fabasoft Benutzeroberfläche (ARTS-UI), die bei all unseren Cloud-Produkten zum Einsatz kommt. So wird schon in der Designphase die Barrierefreiheit bedacht.
  2. Testen der Barrierefreiheit unserer Produkte bei jedem neuen Release.
  3. Mitentwickeln und Testen unserer Webangebote.
  4. Training unserer Mitarbeiter*innen in den Bereichen Entwicklung und QA im Hinblick auf die Evaluierung und Programmierung von barrierefreien Anwendungen sowie Inhalten.
  5. Betreuung und Unterstützung der Engineeringteams.
  6. Ständige eigene Fortbildung, da sich Web-Technologien, Evaluierungswerkzeuge, Hilfsmittel und diverse Richtlinien für Barrierefreiheit permanent weiterentwickeln.

Ich bin stolz auf die positive Einstellung des Managements und der ganzen Fabasoft, dass Barrierefreiheit eine notwendige Voraussetzung und Eigenschaft unserer Produkte ist. Und wir das Motto: „We really care about … accessibility.“ jeden Tag leben. Diese Einstellung trägt auch reiche Früchte: So wurde unsere Fabasoft Business Process Cloud mit dem WACA Zertifikat für die Barrierefreiheit in Silber ausgezeichnet.